Erotik und Sexualität

Unwahrscheinlich erotisch

Ein erotisches Leben – Wunsch und Wirklichkeit

Ein erotisches Leben, sprühend vor Lust und Lebensfreude, inspirierend für sich selbst und andere, ein lebendiges Gesamtkunstwerk ohne jeden Druck und Leistungsstress – wer würde das nicht lieben?

Aber ist das nicht unrealistisch? Sind wir dafür überhaupt geschaffen? Was steht dem im Weg? Welchen Preis müssten wir dafür zahlen?

Und selbst wenn wir lieber kleinere Brötchen backen und nur etwas mehr Lebensfreude und Kreativität in unser Leben bringen wollen: In welche Richtung machen wir uns auf den Weg?

Die folgenden Fragen können uns erste Hinweise geben:

  • Warum können wir uns nicht bewusst und gewollt verlieben?

  • Was macht echte Kreativität unberechenbar und unnachahmlich?

  • Wodurch erlahmt in vielen Langzeitbeziehungen die Lust?

  • Warum erleben wir Glück besonders intensiv, wenn es uns überrascht?

  • Was macht das Leben so robust, obwohl es doch so verletzlich ist?

 

Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit

Alle diese Fragen haben mit den Gesetzen von Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit zu tun. Wir erleben permanent ihre Auswirkungen, ohne uns ihrer bewusst zu sein.

Der Klassiker: Überrascht vom Glück plötzlicher Verliebtheit bekommt unsere Erotik einen kreativen Schub. Dann lässt sie langsam wieder nach – und das Leben geht weiter. Das Unwahrscheinliche hat kurzfristig die Regie über unser Leben übernommen, aber wahrscheinlich hält das nicht ewig.

Würdest du gerne öfter so durchs Leben gehen, als wärst du frisch verliebt? Aber du möchtest deswegen nicht jedes Mal deine Beziehung aufs Spiel setzen oder eine neue anfangen? Wunderbar – dann geht es dir so wie mir!

 

Zwischen Routine und Risiko

Wahrscheinlich kommst du dabei – so wie ich – immer wieder an deine Grenzen, und das Leben wird zur Routine. Berechenbar. Das ist ganz normal.

Aber könnte es – ganz unwahrscheinlich – auch anders sein?

Dafür müssten wir etwas riskieren. Wollen wir das? Können wir das?

Sicherheitsbedürfnisse sind uns in die Wiege gelegt, aber genauso natürlich sind unsere Neugier und unsere Lust auf Freiheit und Abenteuer. Wir sind jedoch alle in einer Kultur aufgewachsen, die Sicherheit höher bewertet.

Zwischen diesen beiden Polen fließt der Strom des Lebens: Es will sich bewahren und ist doch bereit, sich zugunsten weiterer Entwicklung zu opfern. Die Arterhaltung wiegt stärker als der individuelle Überlebenstrieb. Wäre es andersherum, lebten wir maximal auf dem Niveau von Einzellern – wahrscheinlicher aber wären wir längst tot oder nie geboren worden.

Die Flucht ins kalkulierte Abenteuer

In unserer Kultur lassen übersteigerte Sicherheitserwartungen wenig Raum für echtes Abenteuer. Umso mehr floriert die Unterhaltungsindustrie. Mit der Fernbedienung in der Hand begeben wir uns in virtuelle Welten, in denen das Leben noch unvorhersehbar ist – aber um das Happy End wollen wir auch dort nicht wirklich bangen müssen.

Wo eine Kultur so vorrangig auf Sicherheit setzt, ist die Gegenbewegung nicht weit. Sind moderne Abenteuer wie Bungee-Jumping oder Swingerclubs noch halbwegs integrationsfähig, erscheint im Selbstmordattentäter der krasse, zum Feind der Zivilisation erklärte Gegenpol. Der drohende Kollaps vieler Ökosysteme ist ein weiterer.

Beides sind zwangsläufige Gegenspieler einer zwanghaften Kultur. Der Selbstmordattentäter riskiert alles – und damit letztlich nichts. Und wenn wir als Menschheit schon auf den Untergang zusteuern, dann doch bitte mit größtmöglicher, vorausberechneter Wahrscheinlichkeit.

 

Eine Einladung zur Fantasie

All dies zu beklagen ist wenig kreativ und macht uns keinen Deut erotischer.

Worin liegt also der wirkliche Reiz des Lebens?

Nimm dir einen Moment Zeit für eine erotische Fantasie. Erlaube dir, in sinnlichen Genüssen mit offenem Herzen zu schwelgen.

Was würde dich erfüllen oder zum Knistern bringen? Kannst du dir hier und jetzt eine Fantasie erlauben, mit der du dich selbst überraschst?

Nimm dir Zeit – und lies dann erst weiter.

(Pause)

Die gemeine Falle der Wahrscheinlichkeit

Hast du dir wirklich Zeit genommen – oder hast du geschummelt?

Willst du erst weiterlesen und später fantasieren? Willkommen im Club!

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden es die meisten Leserinnen und Leser so machen. Sehr wahrscheinlich ist ja so gut wie gewiss. Wahrscheinlich konntest du also gar nicht anders. Was für eine gemeine Falle, dir diese Einladung zu geben.

Aus der Quantenphysik wissen wir seit über hundert Jahren, dass es im Kern der Materie keine Sicherheiten gibt, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. Selbst moderne Technik basiert darauf. Niemand kann vorhersagen, wie sich ein bestimmtes Elementarteilchen verhält.

Und doch ist die Entstehung des Lebens so vollkommen unwahrscheinlich, dass es sicher keines gäbe, wäre nicht noch etwas anderes am Werk als die Gesetze der Wahrscheinlichkeit.

Ich nenne sie provisorisch: die Gesetze der Unwahrscheinlichkeit.

Wenn Eros überraschend die Bühne betritt

Ich betrete die Bäckerei. Gestresst vom frühen Aufstehen, ein langer Arbeitstag liegt vor mir. Mein Blick trifft ihren Blick – mein Herz beginnt zu pochen. Ein anderer Teil des Körpers auch.

Ich stammele „zwei Buttercroissants“, mir rutschen zwei Euro aus der Hand, sie hebt sie auf und wünscht mir einen schönen Tag. Knallrot stürme ich hinaus und werde fast von einem Fahrrad angefahren.

In dieser Szene betritt Eros die Bühne. Der berühmte Blick, der uns trifft wie ein Pfeil. Was dann folgt, ist meist vorhersehbar: Wir laufen davon. Wir beantworten das Ungewöhnliche gewöhnlich.

Aber was wäre, wenn wir so ungewöhnlich antworten würden, wie es begonnen hat?

 

Das Naheliegende wagen

… Ich schaue ihr noch einmal in die Augen und sage:

„Mein Herz schlägt wie wild.“

Sie bekommt eine Gänsehaut und antwortet:

„Jetzt werde ich ganz verlegen.“

Wir schalten kurz zurück in den Wahrscheinlichkeitsmodus – doch ich bleibe. Bitte um Papier und Stift und schreibe:

„Wegen eines unvorhergesehenen Glücksfalls vorübergehend geschlossen.“

Sie zögert. Dann nickt sie.

„Erstmal einen Kaffee?“

„Erstmal eine Umarmung – sonst kippe ich um.“

Wenn wir den Gesetzen der Unwahrscheinlichkeit folgen, müssen wir nichts Verrücktes tun. Das Unwahrscheinliche ist genauso naheliegend wie das Wahrscheinliche. Das Erotische genauso wie das Unerotische.

Weit hergeholt handeln wir, wenn wir unbedingt erotisch oder kreativ sein wollen, dem Naheliegenden aber nicht trauen.

Wenn Perfektion die Erotik erstickt

Peter und Manuela sind seit fünf Jahren zusammen. Ihr Liebesspiel ist bewusst, lang, harmonisch, tantrisch. Alles stimmt.

Aber etwas fehlt.

Was fehlt dir beim Lesen?

Was fehlt, ist Unsicherheit. Unvorhersehbarkeit. Das Wagnis.

Erotik braucht nicht nur Harmonie, sondern auch das Unerwartete – nicht unbedingt im Außen, sondern als innere Empfänglichkeit für das, was sich zeigen will

 

Die Angst vor dem Überraschenden

Getrimmt auf Sicherheit haben wir Angst vor dieser Dimension. Wir brechen manchmal aus, verlieren kurz die Kontrolle – und kehren dann rasch zurück in den Modus der Wahrscheinlichkeit.

Was aber, wenn wir den „Dampf“ unmittelbar fühlen?

Er ist die Energie des Lebens. Instabil. Flüchtig. Nicht festzuhalten.

Wir können eine Unsicherheit mit einer neuen Unsicherheit beantworten.

Der Fluss des Eros

Hans-Peter Dürr vergleicht das Leben mit dem Gehen: stabil nur durch eine Kette instabiler Momente.

Der Fluss des Eros entfaltet sich zwischen zwei Ufern:

  • Dem Ufer der Sicherheit: Dort erleben wir Scheu, Scham, Unsicherheit – und entdecken, wie erotisch Unsicherheit sein kann.

  • Dem Ufer der Egozentrik: Dort gibt es Mut und Würze, aber auch die Gefahr der Abstumpfung und Sucht.

Erotik lebt im Dazwischen.

Hingabe an das Unwahrscheinliche

Unsere Erotik ist der innere Puls unserer Kreativität. Sie lässt das Unwahrscheinliche durch uns leben. Wir müssen es nicht machen – wir können es gar nicht.

Es ist die Hingabe an diese Kraft, die unser Leben unwahrscheinlich erotisch macht.

Vielleicht möchtest du dich jetzt auf den Weg machen. Vielleicht nimmst du dir Zeit für deine Fantasie. Sei scheu und dreist zugleich, mutig und unsicher.

Und sei nachsichtig mit dir.

Eine letzte Warnung

Zwischen Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit liegt die Scheinheiligkeit. Sie macht aus dem Spiel eine Leistung und aus Erotik eine Ware.

Es bleibt also nichts anderes, als immer wieder in dich hineinzuhören:

Was gibt deinem Leben jetzt eine Prise Unwahrscheinlichkeit?

Es ist naheliegend.

Es ist prickelnd.

Und es ist ein Risiko.

Der Text stammt leicht überarbeitet aus meinem Buch Mysterien des Lebens

Heilung in Erotik und Sexualität

Erotik und Sexualität sind Lebensbereiche, in denen die wenigsten von uns sich wirklich frei fühlen. Auch nach vielen Jahren Therapie, auch nach viel Selbsterfahrung und Meditation bleibt oft eine große Unsicherheit im Umgang mit der eigenen Lust, im Umgang mit erotischen oder sexuellen Situationen. Es fällt uns schwer, offen über unsere Bedürfnisse zu sprechen, oder wir haben Mühe, Sex und Herz wirklich zu verbinden.
Wir alle haben Strategien gelernt, dies nicht … weiter lesen

👉 Erotik und Sexualität sind auch die Themen des Podcasts 50 Ways to Ruin your Sexlife, den ich mit Dr. Daniel Vonwil herausgebe.
👉Was ist Liebe? 
👉 Was ist Tantra?